Mahnwache Fukushima

Mahnwache für Fukushima

Vier Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima lud der Ortsverband der Kahler Grünen zu einer Mahnwache am Kahler Wasserturm ein – etwa fünfzig Menschen folgten diesem Aufruf. Gemeinderätin Sophia Hein (Bündnis 90/ Die Grünen) erinnerte an den 11. März 2011 und erläuterte in ihrer Ansprache, mit welchen Folgen die Menschen in Japan bis heute und auch zukünftig zu kämpfen haben.

Kritisch äußerte sie sich zu der Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der mit seinem Gesetz zum Bau von Windkrafträdern und der Blockade der Stromtrasse die Energiewende sabotiere.

Im Anschluss an die Rede folgte eine Schweigeminute zum Gedenken an die Menschen, die bei dem Tsunami umkamen oder bis heute mit den Folgen der Katastrophe leben müssen.

 

Hier ist der Redetext von Sophia zum Nachlesen:

 

 

O

Es ist vier Jahre jetzt her, dass wir von einer Katastrophe aufgerüttelt wurden, die bis dahin in einem hochtechnisiertem Land wie Japan undenkbar schien.
Heute -vor mittlerweile 4 Jahren- verursachte ein Tsunami, der durch ein Erdbeben der Stärke 9,0 ausgelöst wurde, den Ausfall der Kühlungsanlage des Atomkraftwerkes Fukushima. Auch die Notstromaggregate versagten und was folgte war (trotz zahlreicher Rettungsaktionen), die Kernschmelze in drei Reaktorblöcken.
Auch am folgenden Tag erreichten die Menschen auf der ganzen Welt neue Bilder – Eine Wasserstoffexplosion führte dazu, dass das Dach und die Wände von Block 1 weggesprengt wurden.
Die Strahlung konnte ungebremst entweichen und eine Evakuierungszone wurde eingerichtet, die zunächst 20km betrug. Seit 4 Jahren gibt es nun Berichte über Probleme bei den Aufräumarbeiten und im Umgang mit dem havarierten Kraftwerk, der Direktor des Kraftwerkes, Masao Yoshida, starb vor eineinhalb Jahren mit 58 Jahren an Speiseröhrenkrebs.

Nach wie vor ähneln viele Regionen Geisterstädten, in denen nebst Trümmern und Ruinen nur noch wenige Menschen leben.
In den Dörfern und Städten werden Maßnahmen zur Dekontaminierung durchgeführt, die bis 2017 abgeschlossen werden sein sollen, aber nur langsam voran kommen.
Die Menschen, die damals evakuiert wurden, befinden sich in der Schwebe – Sie wissen nicht, ob sie woanders ein neues Zuhause aufbauen oder auf eine Rückkehr in die alte Heimat warten sollen. Viele Menschen flohen damals aus Angst vor der atomaren Wolke „freiwillig“ – Sie erhalten kein Geld von der Betreiberfirma TEPCO oder der Regierung.
Im Moment sollen 120 000 Menschen in Japan sogenannte „Atom-Flüchtlinge“ sein.
Schätzungsweise sind in den letzten 4 Jahren rund 3000 Menschen an den Folgen der Flucht gestorben. Der Stress und die enorme Belastung führen zu Herz-Kreislauferkrankungen, Suchtkrankheiten und Suiziden. SozialarbeiterInnen vor Ort berichten von einem Anstieg der häuslichen Gewalt. Besonders die älteren Menschen

bleiben auf der Strecke. Ihnen fällt die Entscheidung noch schwerer als den jüngeren Generationen, ob sie ihre alte Heimat aufgeben oder einen Neuanfang wagen.

Bis eine Entscheidung gefallen ist, werden sie weiterhin zu mehreren in kleinen, behelfsmäßigen Containern leben, die weder Privatsphäre zulassen, noch irgendetwas mit „Normalität“ zu tun haben, sondern ihre BewohnerInnen stets an das erinnern was sie womöglich für immer verloren haben..
Jeden Tag werden Dekontaminierungsarbeiten durchgeführt, bei denen jeweils 5cm Erdboden abgetragen, Äste geschnitten, Straßen abgespritzt und Häuser geschrubbt werden. Aktuell stehen mehrere 1000 Tanks und Spezialsäcke auf dem Gelände des AKWs, sowie auf Ackerflächen und Privatgrundstücken – Sie enthalten kontaminiertes Wasser und eben jene verseuchte Erde.
Die Frage nach dem „Wohin?“ ist noch ungeklärt. In Japan gibt es keine End- oder Zwischenlager. Wenn in einigen wenigen Jahren die Säcke durchgefault sind, werden neue Maßnahmen erforderlich sein. Alles Maßnahmen zur kurzfristigen Überbrückung.

Japans Wirtschaft spürt die Folgen der Katastrophe nach wie vor. Die Kosten für die Aufräumarbeiten sind sehr hoch und die hohen Preise für die Öl- und Gasimporte belastet die kriselnde Wirtschaft zusätzlich. Die Importe waren nach der Katastrophe nötig geworden, da vorerst alle AKWs abgeschaltet wurden.
Auch die Tourismusbranche litt unter einem starken Einbruch nach der Katastrophe. Doch 2014 normalisierten sich die Zahlen wieder. 2020 finden die Olympischen Spiele in Japan statt – 20 Millionen Besucher werden dann erwartet. An Fukushima wird in diesen Feierstunden wohl niemand mehr denken, auch wenn die Ruine und die Umgebung jahrhundertelang weiter strahlen wird.
Erfreulich wirkten die Proteste der JapanerInnen, die sich nach der Katastrophe gegen die Atomkraft wandten. Doch sie scheinen vergebens, denn Regierungschef Shinzo Abe möchte wieder alle Meiler in Betrieb nehmen.

In Deutschland war die erste Konsequenz aus der Katastrophe, dass die geplante Laufzeitverlängerung von 2010 rückgängig gemacht wurde, acht Atomkraftwerke wurden direkt abgeschaltet, sowie neun weitere zu einem späteren Zeitpunkt.
Laut dem SPIEGEL von 2011 koste ein Atomausstieg bis 2020 etwa 48 Milliarden Euro.
Laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betragen die Kosten für Klimaschutzvorgaben und Erneuerungen: 122 Milliarden Euro.
Deutschland ist auf dem richtigen Weg und erst vorgestern äußerte sich Bundeskanzlerin Merkel auf ihrer Japan-Reise zu dem Atomausstieg: „Es können die unwahrscheinlichsten Risiken auftreten […]. Für mich war Fukushima ein einschneidendes Ereignis, weil Fukushima ja in einem Land passiert ist, das eine sehr hohe technische Qualität hat. […]“ So die Kanzlerin. Sie selbst habe „viele zu lange an der Atomkraft festgehalten.“. (http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2015-02/fukushima-atomkraft-folgen)

Die angedrohten Blackouts und ein enormer Anstieg der Kosten nach den Sofortmaßnahmen traten nicht ein.
Doch gerade wenn wir uns das Vorankommen der Energiewende betrachten, stoßen wir immer wieder auf die Rolle Bayerns. Entgegen aller zuvor getroffener Absprachen hat der Ministerpräsident Seehofer mit seinem Kabinett ein Gesetz veranlasst, welches sich 10H-Regelung nennt. Das bedeutet, dass in Bayern Windkrafträder mindestens 10x ihre eigene Höhe von der nächsten Wohnbebauung entfernt sein müssen. Eine Windkraftanlage ist i.d.R 180-220m hoch. Ein Abstand von 2km macht so einen Ausbau der Windkraft quasi unmöglich. Das zweite Problem ist Herr Seehofers Umschwenken, was die Stromtrassen anbelangt. Er hat sich den Protest vieler BürgerInnen angeschlossen und deshalb werden aktuell keine Trassen gebaut. Was bedeutet das? Wenn 2022 das letzte AKW ausgeschaltet wird, dann bekommt Bayern ein ernsthaftes Stromproblem.

Lösungen müssen her und zwar schnell. Je weiter er also die Energiewende und die Abmachungen mit den anderen Bundesländern sabotiert, desto mehr verzögert sich der Ausbau und ein Anstieg der Kosten durch unlukrative Anlagen ist unvermeidlich.
Auch die vier großen Energiekonzerne machen die Bundesregierung für ihre Einbußen verantwortlich. Doch eigentlich sollten sie selber dazu stehen, dass sie jahrelang den Trend Richtung erneuerbare Energien ignoriert haben oder als vergänglichen Zeitgeist abtaten. Jetzt die Bundesregierung auf Schadensersatz in Milliardenhöhe zu verklagen ist der einfachste Weg. Der richtige ist es damit noch lange nicht.

Auch deshalb stehe ich heute Abend hier. Mit dem Appell, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen müssen. Und zwar gemeinsam.
Weg von Atom, der nach wie vor eine schwer kalkulierbare Gefahr für die Welt, wie wir sie kennen darstellt. Weg von fossilen Energien, die in einigen Jahren nicht mehr verfügbar sein werden und mit ihrem CO2-Ausstoß die Umwelt schädigen.
Hin zu einem Ausbau der Stromnetzte und der erneuerbaren Energien.

Doch jetzt möchte ich sie alle dazu anhalten, einen Moment innezuhalten um an die 19.000 Menschen zu gedenken, die am 11.März 2011 in Japan infolge der dreifachen Katastrophe ihr Leben verloren, an die 120.000 Menschen, die seitdem ihrer Heimat beraubt und in Notunterkünften leben müssen, an die tausenden Menschen, die mit den Folgen der Katastrophe tagtäglich kämpfen oder den Kampf schon verloren haben.
Mit unserer Zusammenkunft hier zeigen wir ihnen, dass sie nicht vergessen sind!

 

 

 

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