Fukushima Mahnwache 11.03.2019

Hier die Rede von Sophia Hein im Wortlaut:

 

Guten Abend meine sehr verehrten Anwesenden, liebe Mitstreiter*innen, zu unserer Fukushima-Mahnwache.

Acht Jahre.

Acht Jahre sind mittlerweile seit dem verheerenden Erdbeben, dem daraus resultierenden Tsunami und der Havarie des Atomkraftwerkes Fukushima Daiichi vergangen.
Acht Jahre, in denen noch lange keine Normalität einkehren konnte, wenngleich sich die japanische Regierung bemüht diesen Schein herzustellen.
Es war der 11. März 2011, als ein gewaltiges Beben die Region erschütterte und 14m hohe Tsunamiwellen die Schutzmauern der Reaktoren einfach überspülen konnten.
Das Beben an sich erreichte auf der Skala der „Japan Meteorological Agency“ die höchste Intensität, Stärke 9,1 auf der Richterskala, der dadurch ausgelöste Tsunami erreichte lokal Höhen bis zu 40 Metern…

Die Bilder in den Medien zeigen in den darauffolgenden Tagen das immer deutlicher werdende Ausmaß der Katastrophe und der gesamten Zerstörung.

Nicht nur das Trümmerfeld, welches die Fluten hinterließen, wird vielen von uns in Erinnerung geblieben sein, sondern auch die Hilflosigkeit in Anbetracht täglicher Eilmeldungen über neue Brände, austretende Kühlflüssigkeit und eine unübersichtliche Lage in dem Kraftwerk.

Zu der Menge der freigesetzten radioaktiven Stoffe gibt es unterschiedliche Angaben – Während einige Quellen 42% der Caesium-Isotope von Tschernobyl gemessen haben, schätzen andere einen ebenso hohen Wert wie nach der Nuklearkatastrophe 1986.
Gemessen wurde die Kontamination der Luft – Da große Mengen an radioaktiv verseuchtem Wasser ungefiltert in den Pazifischen Ozean fließen konnte, ist zu befürchten, dass es hier auch eine hohe Belastung gibt, für die es jedoch keine zuverlässigen Studien gibt.

22.199 Menschen starben insgesamt; unmittelbar oder in Folge der Dreifach-Katastrophe.

Es finden sich sehr unterschiedliche Zahlen und Aussagen zu Menschen, die aufgrund der hohen Strahlenbelastung erkrankt sind. Vor rund einem halben Jahr bestätigte das japanische Gesundheitsministerium einen ersten Todesfall als direkt im Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe stehend. Zuvor wurden vier anderen Menschen strahlungsbedingte Krankheiten attestiert. Ein 50jähriger ehemaliger Angestellte war an Strahlenmessungen in Fukushima beteiligt gewesen, er trug Schutzbekleidung und Atemmaske.
Er verstarb vergangenen September an Lungenkrebs.
Die Zahl der an Schilddrüsenkrebs erkrankten Kinder ist in der Region deutlich angestiegen, die Diagnosen haben um das 38fache zugenommen. Ein Report der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung) von 2016 schätzt insgesamt  66.000 zusätzliche Krebsfälle.
Auch möchten wir heute an die Menschen gedenken, die in Folge der Ereignisse evakuiert wurden, psychisch erkrankt sind, Suizid begangen haben und nach wie vor einem erhöhten Risiko einer psychischen Störung ausgesetzt sind.

Aus den täglichen Nachrichten ist Fukushima zwar verschwunden, aber die Entsorgungs- und Dekontaminierungsarbeiten gehen in Fukushima weiter – Und das schätzungsweise noch 30 – 40 Jahre.
Ganz aktuelle Zahlen der japanischen Regierung und Tepco berechnen den Rückbau mit zirka 200 Milliarden Dollar, das Japan Center for Economic Research errechnete eine bis zu 3x höhere Summe.  

Die Regierung um Shinzo Abe möchte nun nach vorne schauen – Touristinnen und Touristen werden für die olympischen Sommerspiele 2020 nach Japan kommen und vielleicht wird es im Rahmen dieser sportlichen Ereignisse auch wieder mehr Blicke Richtung Ostjapan gehen. Fast alle öffentlichen Informationen und Zahlen rund um Strahlung und das Fortschreiten der Arbeiten vor Ort stammen von der Betreiberfirma Tepco selbst. NGO’s, Umweltverbände wie z.B. Greenpeace Japan kritisieren dies und werfen der Regierung und Tepco „absichtliche Falschdarstellung des Strahlungsrisikos“ vor – Greenpeace selbst hat Strahlung zwischen dem 5 – bis mehr als 100fachen über dem internationalen Maximum gemessen und betont die davon ausgehende Gefahr!
Zudem werden offenbar z.T. obdachlose Menschen ohne entsprechende Training oder angemessene Bezahlung (wenn es diese in diesem Zusammenhang und in Anbetracht des Risikos überhaupt gibt) für Dekontaminierungsarbeiten eingesetzt und ausgebeutet.

Von den 160.000 evakuierten Personen im Jahr 2011 sind 23% in die Gebiete zurückgekehrt, die als Gefahrenzone eingestuft wurden. Mehr als 32.000 Menschen leben mittlerweile in anderen Regionen des Landes.

Dass das Risiko einer Atomkatastrophe real ist – Das sollte spätestens 2011 jeder Mensch gemerkt haben. Und dennoch gibt es alleine in den westlichen und südlichen Nachbarländern Deutschlands 14 Reaktoren, die über 40 Jahre in Betrieb sind!
Das Freiburger Ökoinstitut hat die Gefahren beschrieben, die mit dem hohen Alter der Anlagen zusammenhängen – Wenngleich keine auffallenden seismologischen Ereignisse zu erwarten sind, so kommt es doch zu einer Versprödung des Stahls der Reaktordruckbehälter, jenen Behältern, in denen die Brennstäbe gelagert werden. So können sich immer mehr Risse bilden. Auch wird ein gewisses Sicherheitsniveau trotz Nachrüstungen nicht erreicht. Viele alte Reaktoren verfügen nicht einmal über Notstromaggregate oder Notkühlpumpen – Ohne diese setzt eine Kernschmelze ein, wenn die Kühlung aus welchen Gründen auch immer ausfällt!
Insgesamt gibt es in 14 europäischen Ländern 126 Reaktoren, darunter sogenannte Hochrisikoreaktoren, die auf der selben Bauweise wie Fukushima basieren, älter als 30 Jahre sind oder gar in einem Erdbebengebiet liegen.

Das von vielen Seiten erhoffte gesamtgesellschaftliche Umdenken blieb aus, nach wie vor beziehen wir Strom aus Atomkraftwerken. Wo bleibt die Energiewende? Wieso wird Atomkraft beschönigt oder als alternativlos verkauft? Wieso wird mit einem so hohen Risiko so halbherzig umgegangen?
Und doch können wir alle unseren Beitrag leisten – Sei es durch einen Umstieg auf 100% Ökostrom im eigenen Haushalt, ein sparsamer Umgang mit Strom und unseren allgemeinen Ressourcen und dass wir weiterhin darauf aufmerksam machen, dass wir keine weiteren Atomkraftwerke wollen und einen schnelleren Rückbau aller noch am Netz befindlicher Reaktoren fordern!

Atomkraft war nie  eine friedlich Technologie, ihr Einsatz ist ein nicht-abzuschätzendes Risiko für den gesamten Planeten. Sei es in der sogenannten „zivilen Nutzung“ zur Energiegewinnung oder auch in Atomwaffen, wie sie ganz aktuell wieder eine sehr ernste und reale Gefährdung darstellen.
Mindestens 16.300 Atomsprengköpfe gefährden den Frieden und alles Leben auf der Erde und die neun Atommächte Amerika, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea zeigen sich an einer Denuklearisierung wenig bis gar nicht interessiert.
Im Gegenteil. Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg scheinen wir genau dort wieder angelangt zu sein.

Die Gefahren und Risiken waren nie geringer und um so wichtiger finde ich es, dass wir heute hier stehen um ein Zeichen gegen jeglichen Einsatz von Atomkraft zu setzen!
Auch acht Jahre später senden wir ein Signal, indem wir uns gemeinsam hier versammeln, um an all jene zu gedenken, die ihr Leben während und in Folge der Katastrophe verloren haben, die ihre Heimat verlassen mussten, mit gesundheitlichen Folgen zu kämpfen haben und für die „Normalität“ weit entfernt zu sein scheint.

Ich bitte Sie einen Moment inne zu halten, um in stillem Gedenken an die Opfer der Dreifachkatastrophe und der Atomkraft im Allgemeinen zu verweilen.

Vielen Dank.

Sophia Hein, Gemeinderätin für Bündnis 90 / Die Grünen, OV Kahl am Main