Fukushima Mahnwache 11.03.2022

Der Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen in Kahl hat am Freitag den 11.03.2022 um 17:30h am Kahler Wasserturm eine Mahnwache zum Gedenken an den 11. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima abgehalten.

Hier die Rede von Sophia Hein im Wortlaut:

Sehr geehrte Anwesende,

Auch in diesem Jahr stehen wir wieder hier, 11 Jahre nach der Dreifach-Katastrophe von Fukushima, als ein gewaltiges Beben die Region erschüttert hatte und 14m hohe Tsunamiwellen die Schutzmauern der Atom-Reaktoren einfach überspülen konnten. Das Beben an sich befand sich auf der Skala der „Japan Meteorological Agency“ auf der höchsten Intensität, Stärke 9,1 auf der Richterskala, der dadurch ausgelöste Tsunami erreichte lokal Höhen bis zu 40 Metern…

Kommt man miteinander in einem Gespräch auf das Thema zu sprechen, so heißt es oft: „Was, schon 11 Jahre?“ Um sich im nächsten Atemzug detailliert an die Bilder zu erinnern, die damals tage- und wochenlang um die Welt gingen. Viele von uns wissen sicherlich noch, wo sie an diesem Frühlingstag damals waren, sie wissen von der Angst zu erzählen, als die ersten Berichte über die Havarie des Reaktors in der Präfektur Fukushima-Daiichi aufkamen. Vielleicht saß der oder die ein oder andere von Ihnen auch gebannt vor den Bildschirmen, so wie ich, jeden Tag die neuesten Entwicklungen konsumierend, mit einem riesigen Kloß im Hals, mit großem Mitgefühl vor dem was den Menschen dort Wiederfahren ist, mit großer Sorge, was die weiteren Auswirkungen auf Japan und auf unsere Welt bedeuten werden. Vielleicht geht es einigen von Ihnen auch aktuell so, in Hinblick auf Putins Angriffskrieg gegen Ukraine, wir blicken voller Mitgefühl, voller Sorge, voller Hilflosigkeit auf den Irrsinn, die grausame Wirklichkeit eines Krieges, der sich nach Jahren nun auf ein gesamtes Land ausgebreitet hat und schon so viele Opfer gefordert hat und noch so viele Opfer fordern wird, wenn es nicht bald zu Frieden kommt.

Und wieder ist da dieses Wort.. diese Thematik .. Atom. Atomenergie, Atomwaffen. Es geht um die Atomruine Tschernobyl, die am ersten Tag der Invasion von russischen Truppen erobert wurde. Die Überwachungssysteme melden keine Daten mehr; ob radioaktives Material entweicht kann somit nicht mehr festgestellt werden. Stromleitungen wurden durch den Beschuss beschädigt und Reparaturarbeiten sind durch die Kämpfe nicht möglich. Mehr als 200 Personen sind auf dem Gelände eingeschlossen, normalerweise gibt es dort ein Schichtbetrieb mit rund 2000 MitarbeiterInnen. Die Lage kann sich jeden Moment ändern und uns bleibt in diesem Falle nichts anderes übrig, als zuzuschauen und zu hoffen, dass es in Niemandes Interesse sein sollte, eine weitere Katastrophe durch Menschenhand zu ermöglichen. Es geht auch um Saporischschja, dem europaweit größten Kernkraftwerk, welches seit dem 4 März besetzt ist. Von 6 Blöcken scheint derzeit einer in Betrieb zu sein. Was genau dort passiert ist unklar, es gibt verschiedene Meldungen darüber, dass die Werksleitung unter dem Befehl eines russischen Kommandeurs stehe, der ukrainische Energieminister sagte, dass das Personal als Geiseln gehalten und gefoltert wird. Was genau passiert, können wir im Moment nicht wissen. Doch die Angriffe auf die Kraftwerke sind höchst gefährlich, ein nicht kalkulierbares Risiko für Ukraine, Russland, Europa und für die ganze Welt. Die aktuellen Ereignisse führen noch einmal deutlich vor Augen, wie verletzlich unsere Welt durch die Bedrohung der Atomkraftwerke geworden ist.

Jetzt auf eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen AKWs in Deutschland zu dringen, bringt nichts außer neuem Atommüll, dessen Endlagerung nach wie vor ungeklärt ist. Selbst die Betreiber wollen an diesem Ausstieg festhalten, sind doch neue Brennstäbe nicht in der Kürze der Zeit zu beschaffen. Es ist schon bemerkenswert genug, dass der grüne Wirtschaftsminister die verbliebenen AKWs prüfen hat lassen und Kohlekraftwerke in Reserve halten will, bis die Energiesicherheit gewährleistet werden kann. Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass wir GRÜNE wie in den letzten Jahren für die Abschaltung auch der letzten 3 deutschen AKWs sind. Dass wir in dieser Misere einer abhängigen Energieversorgung gekommen sind, hat die Regierung von CDU und SPD insbesondere in den letzten Jahren zu verantworten. Wir alle wissen, dass der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Altmeier den Ausbau der regenerativen Energien Wind wie auch Solar gedrosselt, ja sogar aktiv behindert – statt gefördert hat. Die Situation zeigt, eine Energiepolitik, mit Sonne, Wind und Biomasse aber ohne Kohle und Atom, ist eine, wie es der Bundesfinanzminister nannte, „Freiheits-Energiepolitik“ – macht sie doch auch in Krisen- und Kriegszeiten unabhängig.

Doch ich möchte nun den Bogen spannen, zurück zu Fukushima, wo aktuell,11 Jahre nach der Katastrophe, mehrere JapanerInnen Klage gegen den Betreiber Tepco eingereicht haben. 2011 waren diese Menschen minderjährig. In den vergangenen Jahren sind sie an Schilddrüsenkrebs erkrankt und fordern Entschädigung für die Folgen, die immer wieder verharmlost werden. Dabei scheint es offensichtlich: „Diese Form von Krebs tritt sehr selten auf, bei Kindern sind es 1-2 Fälle auf eine Million, aber die Zahlen liegen um ein Vielfaches höher, das sagt ja schon alles“, so Kenjiro Kitamura, einer der Anwälte in dieser Klage. (Quelle: ARD Tagesschau, Kathrin Erdmann: „Klagen wegen Schilddrüsenkrebs“ vom 21.01.2022).

Was passiert gerade noch in Fukushima? Ein Tunnel in 12 Metern Tiefe soll gebohrt werden und unterhalb des Meeresboden verlaufen – durch diese Pipeline soll Wasser gefiltert, vermischt und verdünnt werden. Einen Kilometer von der Küste entfernt wird es dann ins Meer abgelassen. Die Betreiber versprechen unabhängige Kontrollen und ein hohes Maß an Sicherheit, für Einnahmeausfälle wegen des Imageschadens für die Fischereiindustrie soll der Staat einspringen. In der Vergangenheit wurde extrem viel Vertrauen verspielt, denn das Kühlwasser ist nicht so gereinigt worden, wie angekündigt. Das Projekt ist auf mindestens 40 Jahre angelegt, ein Roboterarm soll in diesem Frühjahr erstmals die Reste im Reaktorblock 2 untersuchen (Quelle: ARD Tagesschau, Kathrin Erdmann: „Kühlwasser soll über Tunnel ins Meer fließen“ vom 20.12.2021).

Es gibt keine Blaupause, keinen Masterplan, keine Sicherheit und keine optimale Lösung. Atomkraft war und ist ein nicht beherrschbares Risiko und der Nutzen steht in keinem Verhältnis hierzu. Was passiert scheint an manchen Tages so fern zu sein, doch die Gefahr sollte, Nein, sie MUSS uns bewusst sein. Der Krieg in unmittelbarer Nähe zu „uns“ macht uns noch einmal deutlich, wie nah die Bedrohungslage durch Atomkraft ist.

Und jetzt bitte ich Sie einen Moment innezuhalten in Gedanken an die Menschen, die 2011 und in den Folgejahren bis Heute ihr Leben, ihre Heimat, ihre Gesundheit, ihre Liebsten, verloren haben durch eine bis dato beispiellose Katastrophe, deren Wirklichkeit uns Mahnung sein muss. Wir denken heute auch an die Menschen in Ukraine, deren Leben von einen auf den anderen Tag völlig aus den Fugen geraten ist, die plötzlich mit Gewalt und allen grausamen Facetten des Krieges konfrontiert sind. Mit unseren Gedanken sind wir in diesem Moment ganz nah bei all diesen Menschen. Sophia Hein

11.03.2022