Informationsveranstaltung Krieg in Syrien 18. Dezember 2015 Eine Informationsveranstaltung zum Thema „Krieg in Syrien“ Die größte Flüchtlingsbewegung der Welt seit dem Zweiten Weltkrieg Kein Stuhl war mehr frei im evangelischen Gemeindehaus in Kahl, welches mit etwa 60 Zuhörern gut gefüllt war, als Martin Glasenapp, Syrien-Referent von medico international, über den Krieg in Syrien und die Situation vor Ort auf einer Informationsveranstaltung vom Ortsverband Bündnis 90 / Die Grünen berichtete. Nach einführenden Worten der Vorstandssprecherin Regina Krebs verlas Fraktionsvorsitzende Sylvia Hein das Grußwort von Pfarrer Christian Riewald, das von der Heiligen Familie und der Flucht von Maria, Josef und Jesus vor dem Despoten Herodes handelte. Stellvertretend für Bürgermeister Seitz richtete Dieter Duzak in seiner Funktion als 3. Bürgermeister das Wort an das Publikum. In seinen persönlichen Worten war unter anderem die Rede von seiner eigenen Familie, die damals aus Schlesien flüchtete und von in Deutschland lebenden Menschen, für die Flucht und Vertreibung zur Familiengeschichte gehören. Glasenapp berichtete, dass die mit dem Aufstand gegen das Assad-Regime (Arabischer Frühling 2011) geweckte Hoffnung auf eine zivile und demokratische Entwicklung Syriens in einem immer grausamer werdenden Bürgerkrieg zerrieben worden ist. In Syrien selbst, aber auch in den angrenzenden Ländern, betrifft die gegenwärtig größte humanitäre Katastrophe viele Millionen Menschen. Er erläuterte anhand einer farblich gekennzeichneten geographischen Karte die Einflussgebiete der unterschiedlichen Gruppierungen in und um Syrien. Kobane im kurdischen Gebiet spielt hierbei eine zentrale Rolle zur Verdrängung des IS (Islamischer Staat) mit dem Ziel einer kurdischen Selbstverwaltungszone nach dem Vorbild einer multiethnischen und demokratischen Gesellschaft. Mittlerweile sind viele europäische und nicht europäische Länder mittelbar in den Konflikt involviert. Viel bedeutsamer ist jedoch der tobende Krieg selbst, in dem die Syrerinnen und Syrer die Opfer sind. Mittlerweile sind 70 Prozent der Krankenhäuser im Land zerstört und die Gesundheitsversorgung in den von oppositionellen Rebellen kontrollierten Regionen ist fast vollständig zusammen gebrochen. Das ehemals führende Universitätssystem auf dem Gebiet der Medizin im Nahen Osten existiert praktisch nicht mehr, das Bildungssystem ist durch den Krieg an vielen Orten erodiert. Syrien befindet sich damit in einem „Zustand der Entzivilisierung“, so Glasenapp. Das öffentliche Leben teilt sich in die Regionen unter Kontrolle der Regierung und die Zonen der Rebellen. In den einen wird sich bemüht die Imagination eines „Normalzustandes“ herzustellen, in den oppositionellen Gebieten herrscht offener Krieg. Mittlerweile sind von 22 Millionen Syrern 13 Millionen auf der Flucht, davon 8 Millionen im eigenen Land. Ein Auslöser für die Flüchtlingsströme ist u.a. die Kürzung der Hilfe für syrische Flüchtlinge in den Anrainerstaaten aufgrund von Geldmangel im Rahmen des Welternährungsprogramms der UN. Präsident Baschar al-Assad präsentiert sich nichts desto trotz als Garant einer staatlichen Ordnung, eines „alten Syriens“, das zwar als „Warlord-Staat“ nicht mehr in der Lage ist, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu garantieren, aber vielen Menschen berechenbarer erscheint als die ungewisse Zukunft und die radikalreligiösen Rebellenmilizen. Was mit der finanziellen Unterstützung der Türkei durch 3 Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe geschieht, ist nicht wirklich transparent. Offenbar plant die Türkei den Aufbau einer syrischen Sicherheitszone mit militärischer Absicherung in Syrien. Eine politische Lösung ist umso dringlicher, nicht zuletzt auch, weil es noch immer Selbstmordattentate in den kurdischen Gebieten gibt, die ihrerseits die Idee eines dezentralen Syriens bedrohen. Die Möglichkeit zur Flucht nach Europa und die damit verbundenen Kosten sind oftmals nur den Angehörigen der Mittelschicht vorbehalten. Mit dem Verlust der Bildungselite wird die fehlende Perspektive im Land noch deutlicher. Die armen überwiegend sunnitischen Einwohner aus den ländlichen Regionen haben oftmals nicht die Mittel zur Flucht nach Europa. Ohne Perspektive, d.h. ohne ein intaktes gesellschaftliches Gefüge, schwindet für alle Flüchtigen ebenfalls die Perspektive auf eine Rückkehr in die Heimat. Durch die größte Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Syrienkonflikt in dem er nach Europa getragen worden ist quasi globalisiert und damit – falls es eine zeitnahe Lösung in Syrien geben sollte – vielleicht die Möglichkeiten für die erfolgreichste „Friedensbewegung“ der jüngeren Zeit geschaffen. Nach dem etwa 1 ½-stündigen Vortrag von Martin Glasenapp stellte das Publikum weitere Fragen und ein ebenfalls unter den Anwesenden in Deutschland lebender Syrer legte seine Einschätzungen dar und berichtete von seinem früheren Leben ins Syrien. Der Ortsverband von Bündnis 90 / Die Grünen veranstaltet seit drei Jahren am Tag der Menschenrechte eine Informationsveranstaltung mit lokalem Bezug. Das diesjährige Thema war inspiriert davon, weil im nächsten Frühjahr 150-200 Flüchtlinge, vorwiegend aus Syrien, in Kahl erwartet werden.
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