TTIP

Gefährdung kommunaler Handlungsspielräume durch die Freihandelsabkommen

CETA, TTIP und TiSA:
Der Gemeinderat beschließt nachstehenden Antrag mit Begründung und die anhängende
Resolution an die Bundes- und Landesregierung. Zur Kenntnis erhalten die im Landkreis
Aschaffenburg gewählten Bundes- und Landtagsabgeordnete die Resolution.
 

 
Antrag:

 
Der Gemeinderat Kahl beschließt, der Bürgermeister und die Verwaltung werden

 
 

 
1. die Ablehnung von CETA, TTIP und TiSA in der derzeitigen Form in Gemeindebund
und Gemeindetag auf Kreis-, Landes- und Bundesebene, sowie in den Deutschen Städtetag
und Deutschen Landkreistag einbringen,

 
2. im Namen der Gemeinde und des Gemeinderats das Europäische Parlament und die
Europäische Kommission, sowie den Bundestag und die Bundesregierung auffordern,
den Abkommen CETA, TTIP und TiSA solange nicht zuzustimmen, bis gesichert ist, dass die
Wahrung der europäischen Sozial- und Umweltstandards sowie der Schutz der kommunalen
Daseinsvorsorge und die Gesetzgebungs-Kompetenz von Bund und Ländern nicht dadurch
gefährdet werden können,

 
 

 
3. die regional zuständigen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger im Europäischen
Parlament, im Bund und im Land anschreiben und sie auffordern, dem Abkommen in der
derzeitigen Form nicht zuzustimmen

 
4. diese Ablehnung des Gemeinderats dem Bundeswirtschaftsministerium gegenüber zum
Ausdruck bringen
 
5. die Öffentlichkeit von diesen Zusammenhängen und Aktivitäten der Gemeinde
in Kenntnis zu setzen.

 

 

Abkürzungen für die Freihandelsabkommen:

CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) – EU / Kanada

TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) – EU / USA

TiSA (Trades in Services Agreement) – multilaterales Dienstleistungsabkommen

 

 

 

 

 

die in entsprechende Schreiben aufzunehmen ist:

Es gibt verschiedene Aspekte, von denen wir als Kommunen direkt betroffen wären:

1. Demokratie und Transparenz

Derzeit finden zwischen der EU und den USA Geheimverhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) statt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zugang zu den Dokumenten haben hingegen 600 Vertreter von Großkonzernen. Nicht einmal die EU-Abge-ordneten haben uneingeschränkten Zugang zu den Dokumenten. Und obwohl Städte und Kommunen direkt betroffen sind, werden die kommunalen Spitzenverbände (Städte- und Gemeindetag, sowie Landkreistag) nicht in die Verhandlungen einge-bunden. Dies entspricht nicht unserem Verständnis von Demokratie. Vielmehr muss die Einbeziehung in die Verträge so frühzeitig erfolgen, dass die Gestaltungsfähigkeit gegeben ist. Daher fordern wir einen vollständigen Einblick in alle Verhandlungs-dokumente, sowie die Einbeziehung in die Verhandlungen.

Dies fordern wir für TTIP, CETA und TiSA.

 

2. Investitionsschutz für Konzerne

(Dieser Punkt betrifft sowohl TTIP, wie auch CETA. TiSA enthält nach bisherigem Wissensstand keinen Investorenschutz.) Internationale Konzerne erhalten ein Sonderklagerecht gegen demokratisch

beschlossene Gesetze. Zwischen Staaten mit funktionierendenen Rechtssystemen ist eine Investitionsschutzklausel überflüssig. Vielmehr stellen „private Schiedsgerichte“ ein Parallelrechts-system dar, das grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates unterläuft und Konzerne mächtiger macht als demokratisch gewählte Regierungen. Da sogar die Beschlüsse von Gemeinden Anlass für solche Klagen sein können,würde dies dazu führen, dass wir uns in vorauseilendem Gehorsam, bei jedem

unserer Beschlüsse überlegen müssten, ob sie eventuell die Gewinnerwartung eines Konzerns schmälern würden und somit eine Klage gegen den Staat nach sich ziehen könnten. Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren die Anzahl der Investor-Staat-Klagen sprunghaft angestiegen ist, stellen wir uns die Frage, wie viele solcher Klagen sich ein Staat, eine Stadt oder eine Gemeinde leisten kann? Wer bezahlt? Der Bund, die Stadt oder die Gemeinde?

Einen solchen Eingriff in unsere kommunale Entscheidungshoheit lehnen wir ab!

 

3. Kommunale Daseinsvorsorge, öffentliches Beschaffungswesen, Dienstleistungssektor und Kommunale Selbstverwaltung

Kommunale Daseinsvorsorge (z.B. Wasserver- und Abwasserentsorgung, Energie).

Da bei diesen Arten von Handelsabkommen typischerweise die Regeln zum grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen und der Schutz ausländischer Investoren im Fokus stehen, ist zu befürchten, dass sie sich negativ auf die Organisationshoheit der Kommunen und die kommunale Handlungsautonomie auswirken.

Öffentliches Beschaffungswesen (in den USA schon weitgehend privatisiert) TTIP und CETA würden die kommunale Organisationsautonomie gefährden. Mittelständische Unternehmen vor Ort dürften nicht mehr bevorzugt werden. Dadurch käme es zu einer Minderung der Gewerbe-steuereinnahmen und einer Schwächung der lokalen Unternehmen.

Dienstleistungssektor (Bauwesen, Transportwesen, Gesundheit, soziale Dienstleistungen …..)

Immer mehr Bereiche des öffentlichen Dienstleistungssektors werden zum „allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“ deklariert. Dadurch werden die Gebietskörperschaften gezwungen, diese, gemäß einer „Marktzugangsverpflichtung“, im Wettbewerbsverfahren (künftig weltweit?)

auszuschreiben. Das Gemeinwohl muss in diesen sensiblen Bereichen weiterhin im Vordergrund

stehen.

Kommunale Selbstverwaltung

Obwohl die EU laut Lissabon-Vertrag und gemäß Subsidiaritätsprinzip nicht in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen darf, duldet unsere Bundesregierung mit den Verträgen diesen Gesetzesübertritt und befördert ihn sogar noch. (Anmerkung: Bei TiSA handelt es sich um ein „Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen“. Der Bereich des Beschaffungswesens ist nicht Teil der Verhandlungen.)

 

4. Positivlisten-Ansatz / Negativlisten-Ansatz

Es gibt zwei Modelle der Liberalisierung.

Der Positivlisten-Ansatz besagt, dass nur die Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge/ des Dienstleistungsbereiches der Liberalisierungspflicht unterliegen, die ausdrücklich in die Liste der Zugeständnisse aufgenommen werden.

Beim Negativlisten-Ansatz hingegen sind alle Bereiche von den Liberalisierungsverpflichtungen des Abkommens erfasst, die nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Es ist zu befürchten, dass TTIP, CETA und TiSA einen sogenannten Negativlisten-Ansatz verfolgen.

 

 

 

5. Stillstandsklausel und Ratchet-Klausel

Alle drei Handelsabkommen enthalten sowohl die Stillstands-, wie auch die Ratchetklausel.

Die Stillstandsklausel legt fest, dass nach Einigung auf einen Status der Liberalisierung dieser von einem der Vertragspartner einseitig nicht wieder angehoben werden darf.

Die Ratchet-Klausel besagt, alle zukünftigen Liberalisierungsschritte von Dienstleistungen eines Vertragspartners automatisch neues Verpflichtungsniveau für alle Vertragspartner werden.

Stillstandsklausel und Ratchet-Klausel verhindern einzeln und in Kombination zusammen beispielsweise die Rekommunalisierung von (teil-)privatisierten Stadtwerken, Wasserversorgern etc.

Es hat sich in jüngster Vergangenheit gezeigt, dass – aus guten Gründen – zahlreiche Privatisierungen öffentlicher Güter wieder in die öffentliche Hand zurückgeführt wurden. Daher lehnen wir solche „Endgültigkeitsklauseln“ ab. Vielmehr ist zu beanstanden, dass keine generelle Austrittsklausel formuliert wurde.

 

6. Living Agreement und Rat für Regulatorische Kooperation

Im Oktober 2013 hielt EU-Handelskommissar Karel de Gucht eine Rede in Prag, in der er vorschlug, TTIP solle einen regulatorischen Kooperationsrat einrichten.(1) Die EU-Kommission plant nun in der Tat die Etablierung eines „Regulierungsrates“, in dem EU- und US-Behörden mit Konzern-Lobbyisten zusammenarbeiten, um Regulierungsmaßnahmen zu diskutieren und gegebenenfalls Standards zu lockern. Die Beteiligung Kommunaler Spitzenverbände ist nicht vorgesehen.(2)

In einer Rede am Aspen Institute in Prag (1) bezeichnete Karel de Gucht das Abkommen darüber hinaus als „lebendes Abkommen“, was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Verhandlungspartner auf ein allgemeines Rahmenabkommen einigen und die Details (z.B. Absenkung der Standards) dann

in einem Ausschuss (im Nachhinein) weiterverhandeln. All dies geschieht am Europaparlament vorbei und entzieht sich dadurch jeglicher demokratischen Kontrolle.

(Anmerkung: Sowohl TTIP, wie auch CETA sollen „lebende Abkommen“ werden

und einen „Regulierungssrat“ erhalten. Nach bisherigen Wissensstand sind diese

beiden Punkte nicht Teil der Verhandlungen für TiSA)

 

Für Vereinbarungen, die derart weitreichend in die staatliche und kommunale Regulierungshoheit eingreifen, bedarf es Standards der Transparenz und der demokratischen Legitimation, auch wenn es sich um internationale Abkommen handelt. Deswegen fordern wir die Einbeziehung der Öffentlich-keit, sowie eine sofortige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände. Aus den genannten Gründen lehnen wir diese „neue Generation“ von Handelsabkommen ab und setzen uns bei den entscheidenden Stellen dafür ein, die Abkommen in der derzeit bekannten Form abzulehnen. Darüber

hinaus appellieren wir an andere Gemeinden, ebenso zu verfahren.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Sylvia Hein

Fraktionsvorsitzende Bündnis 90 / Die Grünen

im Kahler Gemeinderat