Tag der Menschenrechte am 10.12.2017

Presseartikel zum Tag der Menschenrechte – Auf welchem Weg ist die Türkei?
 Der Saal im evangelischen Gemeindehaus in Kahl war mit etwa 40 ZuhörerInnen am 10. Dezember 2017 gut gefüllt als der Hausherr, Pfarrer Riewald, die Anwesenden zur diesjährigen Informationsveranstaltung des Ortsverbandes von Bündnis 90/Die Grünen Kahl zum Tag der Menschenrechte begrüßte. Riewald verwies in seinen einleitenden Worten auf die fundamentalistischen Strömungen, auch in den ehemals stabilen europäischen Ländern, welche das politische Handeln der Führenden bestimmen und betonte die Wichtigkeit dessen, das die Menschen mit offenen Augen durch die Welt gehen und die Augen nicht vor dem verschließen, was sowohl in Europa als auch auf der weltpolitischen Bühne passiert.
Anschließend begrüßte Volker Goll, Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen Kahl die ZuhörerInnen sowie die Referentin, Canan Topçu zur im fünften Jahr in Folge stattfindenden, Informationsveranstaltung am Tag der Menschenrechte. Goll führte aus, dass die Menschenrechtssituation in der Türkei nach dem Putschversuch im letzten Jahr ernst ist. Neben dem deutschen Journalisten Deniz Yüzel sitzen weiterhin Zehntausende in Untersuchungshaft. Auf welchem Weg ist also die Türkei?
Die Referentin, Frau Canan Topçu, wohnhaft in Hanau bedankte sich für die Einladung nach Kahl. Topçu erläutert, dass der deutsch-türkische Journalist Deniz Yüzel zu einem der „prominentesten“ Inhaftierten geworden ist, das aber sehr viel mehr Journalisten in der Türkei in Haft sind. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen seien 41 Journalisten allein wegen ihrer journalistischen Tätigkeit in der Türkei inhaftiert. Was in Deutschland als typische journalistische Tätigkeit gelte, wie etwa Interviews führen mit Personen, die nach der offiziellen Politik des Landes als Mitglieder von Terrororganisationen gelten, werde in der Türkei bereits als Unterstützung einer terroristischen Organisation gewertet. Die Türkei sei nicht zuletzt deshalb in der Rangliste für Pressefreiheit 2017 von Reporter ohne Grenzen auf Platz 155 von 180 vorgerückt.
Topçu berichtete davon, dass nach dem Putschversuch im Sommer 2016 viele, früher kritische Medien geschlossen oder aufgekauft und kommissarisch mit Redakteuren besetzt worden, welche in der politischen Gesinnung der Erdogan-Regierung nahe stehen. Zudem seien 150 Medienredaktionen (lokal, regional und überregional) geschlossen worden. Ein Gegengewicht versuchten nunmehr Online-Medien zu bilden, die im Ausland, auch in Deutschland, entstanden. Das bekannteste Online-Magazin ist Özgürüz, welches gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv in türkischer und deutscher Sprache informiert, mit dem Ziel, ungefiltert und investigativ über die Situation in der Türkei zu berichten und einer zunehmenden Polarisierung unter Deutschtürken entgegenzuwirken.
Als ein Beispiel dafür, wie sehr sich die Medien der AKP-Regierung schon vor dem Putschversuch anpassten und Selbstzensur betrieben, nannte Topçu die Gezi-Proteste aus dem Jahre 2013. Damals gab es landesweite Proteste als Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit mit der türkischen Regierung. Anlass waren die Pläne der AKP zur Bebauung des Parks. Der türkische Fernsehsender CNN Türk zeigte während des mit Polizeigewalt aufgelösten Camps auf dem Gezi-Park eine Dokumentation über Pinguine, wohingegen internationale Fernsehsender über die Proteste berichteten. Der Pinguin wurde zum Symbol des Protests.
Topçu zeigte sich besorgt darüber, dass viele Medienkonsumenten in der Türkei sowie türkische MitbürgerInnen im Ausland, aufgrund der Zensur und dem Fehlen einer alternativen Berichterstattung in der freien Meinungsbildung eingeschränkt sind. Ein Hinweisen auf diese offensichtlichen Mängel in einer objektiven, den Grundsätzen der Pressefreiheit folgenden Berichterstattung wird bei den in Deutschland lebenden türkischen MitbürgerInnen oftmals ein „schlecht machen“ der Türkei aufgefasst, so ihre Erfahrung.
Im Anschluss an den abwechslungsreichen und informativen Vortrag von Frau Topçu folgte ein lebhafter Dialog mit den Veranstaltungsbesuchern welcher sich u.a. mit dem Einfluss der Oppositionskräfte in der Türkei, wirtschaftlichen Fragen, der Gülen-Bewegung und den unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen in der Türkei beschäftigte. Der Abend endete in einer regen Diskussion bei einem Teller selbst gemachter Linsensuppe.
 
 
Bildquelle: privat
 
Zur Referentin:
Canan Topçu ist Journalistin, Dozentin, Referentin und Moderatorin. Spezialisiert ist sie auf die Themen Integration, Migration, Medien, Islam und muslimisches Leben in Deutschland.Sie arbeitet für Hörfunk, Print und Online-Medien, Texte von Topçu erscheinen unter anderem in der Zeit und der FAZ. Von 1999 bis 2012 war sie Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Sie ist Dozentin an der Hochschule Darmstadt und an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung.
Seit 2012 engagiert sie sich in der Stiftung Schwarz-Rot-Bunt und ist zudem Mitglied im Vorstand des Hessischen Forums für Religion und Gesellschaft. Sie ist Mitbegründerin derNeuen Deutschen Medienmacher (NDM) und Koordinatorin des NDM-Rhein-Main-Netzwerks. Von 2004 bis 2013 war sie Mitglied des Vorbereitungsausschusses für die bundesweitstattfindende Interkulturelle Woche. Sie war Teilnehmerin der Deutschen Islamkonferenz unter Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Mitglied im Beraterkreis Integration von Muslimen des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann.  Die gebürtige Türkin lebt seit ihrem 8. Lebensjahr in Deutschland. In Hannover studierte sie Geschichte und Literaturwissenschaft und absolvierte ein Volontariat bei der Hannoverschen Allgemeine Zeitung.